Vor kurzem hatte ich mich in einem Thread noch recht positiv und vertrauensvoll über unseren Rechtsstaat geäußert. Ich mag bisher einfach nicht glauben, dass auch hier schon die Welt untergegangen ist…
Internet-Zugangs-Anbieter überwachen, welche Kunden sich mit bestimmten IP-Adressen verbinden. Wir veröffentlichen Ermittlungs-Dokumente, die dieses „IP-Catching“ belegen. Juristen kritisieren, dass es keine Rechtsgrundlage dafür gibt. Das Bundeskriminalamt will die Maßnahme verschweigen.
Internet-Zugangs-Anbieter überwachen, welche Kunden sich mit bestimmten IP-Adressen verbinden. Wir veröffentlichen Ermittlungs-Dokumente, die dieses „IP-Catching“ belegen.
dachte ich noch wie du, dass hier anlasslos massenhaft Kunden überwacht werden und war nach dem Lesen dann beruhigt, dass es hier doch recht rechtsstaalich zugeht.
Die Über- und Unterschrift hat damit etwas Bildzeitungsniveau.
Erst beim Lesen wird man darüber aufgeklärt, dass:
Die Maßnahme des Ip-Catchings vertstößt scheinbar nicht gegen geltendes Recht, sondern ist bisher wohl nicht rechtlich geregelt.
Es sind immer noch richterliche Anordnungen nötig, um solche Maßnahmen durchzuführen.
Auch wenn durch diese Maßnahme Millionen in das Kreuz der Fahndung landen, wird einiges getan, damit nur ein Verdächtiger ermittelt wird, indem die Daten ungeprüft verworfen werden, die nicht zu dem Verdächtigen führen.
Es wird wohl bisher nur selten und bei schwersten Straftaten angewendet.
Das verschiedene Stellen es nun verschweigen ist für mich verständlich, da man in Gefahr läuft, diese Methode eventuell nicht mehr anwenden zu können, wenn sie gesetzlich geregelt wird.
Das ist so ähnlich wie kaum jemand vorsetzlich auf ein Steuerschlupfloch hinweisen will, das er möglichst lange auszunutzen gedenkt.
Moralisch durchaus nicht in Ordnung, aber ein Untergang des Rechtstaates kann ich noch nicht erkennen.
Die Möglichkeit dieser Überwachung zeigt aber auch, wie schützenswert unser Rechtsstaat und unsere Demokratie ist, damit dies eben nicht willkürlich angewendet wird.
Mein Vater sagte mal, in der DDR war ausdrücklich alles verboten, was nicht explizit erlaubt war, in der BRD wäre alles erlaubt gewesen, was nicht ausdrücklich verboten war.
Zuletzt hat er ersteres auch über den jetzt bestehenden Staat geäußert.
„bisher wohl nicht rechtlich geregelt“ klingt bei der Flut von Gesetzen und Gesetzesänderungen interessant.
Schützenswert sind die Rechte, die das Grundgesetz (noch) zugesteht, an deren Einhaltung hat sich „unser Rechtsstaat und unsere Demokratie“ anzupassen, nicht umgekehrt.
Auch hier muss jeder immer daran denken, dass „Rechtsstaat“ und „Demokratie“ nicht nur von jedem Regime immer so definiert werden, wie es ihnen passt, sondern dass beides grundsätzlich NULL automatisch positiven Wert hat.
Vorgebliche Demokratien und Rechtsstaaten massenmorden und unterdrücken exakt genauso wie die vorgeblich bösen „anderen“.
Gerade heute jeden Tag in dem Medien zu lesen.
Vertrauen in diese Worte entsteht nur, wenn man glauben (!) darf, dass da eben kein Missbrauch stattfindet. Just so, wie legale Steuerschlupflöcher Vertrauen in diesen Teil des Apparats zerstören.
In anderen Ländern (z.B. USA) gilt ein striktes Beweisverwertungsverbot für Beweise die ohne Rechtsgrundlage (aka nicht geregelt) erhoben werden. Das würde Deutschland gut tun, denn unsere Behörden darf man schon als übereifrig charakterisieren.
Staatliche Maßnahmen, die nicht gesetzlich geregelt sind, sind verboten.
Einer der Grundsätze des Verwaltungsrechts ist der Vorbehalt des Gesetzes. Dieser Grundsatz besagt, dass die Grundvoraussetzung für staatliche Maßnahmen, die in Grundrechte der Bürger eingreifen, eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage ist. Es verstößt daher sehr wohl gegen geltendes Recht, wenn Ermittlungsbehörden zu einer erheblich in Grundrechte eingreifenden Maßnahme greifen, ohne dass ein formelles Gesetz die Voraussetzungen und dem Umfang der Maßnahme regelt.
Wenn das beim IP-Catching ein Einzelfall wäre, würde ich ebenfalls nicht so weit gehen und von einer Erosion des Rechtsstaates sprechen. Aber das ist es nicht. Ein vergleichbares Problem ist die Frage, ob Ermittlungsbehörden die elektronische Patientenakte beschlagnahmen dürfen - auch da weigert sich die Politik, explizit zu bestimmen, dass das verboten ist und sorgt für Rechtsunsicherheit.
Ich verstehe beim besten Willen nicht, warum Politik und Verwaltung sich so sehr dagegen wehren, solche Fragen gesetzlich zu regeln.