Beherrscht der Autor das Spiel mit den Medien, um sein Buch zu vermarkten? Als ehemaliger „International Marketing bei Henkel, Unternehmensbereich Kosmetik; zuletzt Corporate Vice President International Marketing (08/2012 - 3/2019)“ sicherlich. Das ist zuvorderst der größte Kritikpunkt. Er wendet genau die Methoden und Praktiken an, die er anprangert.
Im Grunde ist die Medienlandschaft gekippt, es geht seit Jahren nur noch darum, große Teile der Bevölkerung ruhig zu stellen. Ob absichtlich (von welcher Seite dann? Welche Akteure, Stakeholder, Medienmogule??) oder durch emergente Prozesse oder im Sinne einer positiven Rückkopplung, darauf kann ich keine für mich gültige Antwort geben. Gefühlt hat sich der Zustand der mitteleuropäischen und nordamerikanischen Gesellschaften spätestens seit dem Aufkommen des iPhones im Jahr 2007 zum Schlechteren gewendet.
Es herrscht eine Hypermoral, eine Hybris, keine Diskussionskultur, selbst in der Wissenschaft gibt es bis auf Ausnahmen wie Kosmologie oder Teilchenphysik kaum einen wissenschaftlichen Diskurs. Es ist bemerkenswert, dass in der Kosmologie derzeit ca. 80 verschiedene Urknallmodelle nebeneinander existieren, diskutiert werden, Forschungsprojekte zur Falsifizierung laufen und die Wissenschaftler ohne persönliche Ressentiments einfach mit den vorhandenen Fakten arbeiten.
Das ist bei den hinlänglich bekannten Themen, die die Schlagzeilen dieser Zeit bespielen in dieser Form nicht mehr möglich. Der Diskurs ist vergiftet. Und das dürfte das wesentliche Ziel sein. Den kritischen Diskurs vermeiden. Alles auf die Gefühlsebene lenken. Dort reagiert der Mensch in der Regel impulsiv. Der Lauteste gewinnt.
Aus gegebenem Anlass: Die SZ schreibt zur Aiwanger-Affäre „Auf die Urheberschaft kommt es nicht mehr an, der Rest ist schon schrecklich genug“. Ob es überhaupt einen Fakt gibt, zählt nicht mehr. Es geht nur noch darum, niedere Instinkte anzusprechen, mit Dreck zu werfen, die Massen mit konstruierten Vorwürfen abzulenken. RA Udo Vetter hat zur Affäre Aiwanger alles gesagt.
Affäre Rammstein? Eine fette Petition mit 80.000 Unterschriften bei weACT. Empörung allerorten. Was bleibt von den Ermittlungen? Einstellung der Ermittlungen zuerst in Litauen, jetzt in Deutschland. Ist bereits eine Petition mit der Bitte um Entschuldigung für die Vorverurteilung gestartet worden?
Imperien kommen und gehen. Trivial.
Günther Anders hat in „Die Antiquiertheit des Menschen“ eigentlich schon 1956 Erhellendes geschrieben. Seiner Meinung nach wäre es eine hervorragende Methode, die Menschen in ihre selbstverschuldete Unmündigkeit zurückzuführen, sie durch Medienkonsum tagein, tagaus ruhig zu stellen, abzulenken, jeden wissenschaftlichen Diskurs zu unterdrücken und Wissen ausschließlich einer Elite am Ende der Nahrungskette zuzugestehen, die Menschen mit Sexualität bis zum Erbrechen zu penetrieren (pun not intended). Und was sehen wir? Frauen mit Penis. Beamte der Bundestagsverwaltung, die mit Strapsen und Cockring durch Berlin laufen. Kindertagesstätten, die Masturbationsräume anbieten. Jugendliche, die sich ihre Genitalien ohne Einwilligung der Erziehungsberechtigten verstümmeln lassen können, nur weil sie es wollen.
Jeden Tag höre ich den gleichen Spruch über Verschlüsselung, dass man nichts zu verbergen habe. Wahrscheinlich stimmt das auch. OnlyFans, JustForFans, PornHub, X, die Leute posten, was das Zeug hält oder laufen direkt als Köter auf der Straße herum mit einem fetten Dildo im Arsch.
Und Günther Anders hat wohl gut beobachtet, dass die Technik dem Menschen entglitten ist, sich zu weit vom „Menschlichen“ entfernt hat, zu überlegen ist. Wer ist noch in der Lage, die Grundlagen moderner Kommunikation zu beschreiben? Wischen und Klicken. Das ist alles. Und wenn in der bundesdeutschen Politik Sonderschulden über 100 Milliarden Euro für Kriegswaffen aufgenommen werden können, aber den Schulen, Universitäten, Hochschulen, Musikschulen, dem Nachhilfeunterricht, der Begabtenförderung nur Brotkrumen hingeworfen werden, also nichts, aber auch gar nichts in unsere Kinder investiert wird, dann ist die Marschrichtung im Prinzip in Stein gemeißelt.
Das Buch des Autors wird auf allen Kanälen besprochen. Und nichts ändert sich. Das Buch soll die Empörung besänftigen. Etwas Druck aus dem Kessel nehmen. Schaut her: Da schreibt jemand etwas über Google. Aber die Bürger müssten selbst aktiv werden. Mehr Personal für die Datenschutzbehörden fordern. Sich aktiv gegen Amazon aussprechen. Auf WhatsApp und Google verzichten. Im Kuketz-Forum wird neben dem Technischen nichts anderes diskutiert.
Gesellschaftlich befinden wir uns bereits im freien Fall oder, wie ich vermute, im Rom des ausgehenden 4. Jahrhunderts.
Wir erblinden im Sinne Antoine de Saint-Exupéry.